Presse Shinjinbukan 

Trainer des 1.BBC besucht Okinawa

Von Januar bis März 2018 besuchte Christian Streicher (Trainer beim 1.BBC / Dojoleiter des Shinjinbukan-Dojo Bruchsal) die japanische Insel Okinawa, die Hauptinsel der Ryu Kyu-Inselkette und Herkunftsort des Karate. Dies war sein fünfter mehrwöchiger Aufenthalt seit 2012. In den insgesamt sieben Wochen nahm er an sämtlichen Trainingseinheiten des Shinjinbukan-Honbu-Dojo teil und wurde in dieser Zeit zum 3.Dan graduiert.

 

Reisebericht:
Anfang 2018 war es meiner Familie und mir glücklicherweise möglich, wieder einen längeren Aufenthalt auf Okinawa zu realisieren, der erste seit 2015.

Die ersten zwei Wochen wohnten wir bei meinen Schwiegereltern, danach zogen wir in ein „Monthly Mansion“, wie Ferienwohnungen dort genannt werden, in der Nähe. Ca. 40m², Eßküche, Bad, Wohn- und ein Schlafzimmer mit Tatami-Boden. Geschlafen wurde im Futon, nur die Kinder hatten Ihre Bettchen.

Zum täglich Programm unter der Woche gehörte vormittags der Besuch einer offenen Kindergartengruppe die sich YuiYui nennt. In der alten Sprache der Ryu Kyu-Inseln bedeutet das soviel wie Zusammenkunft. Es wurde zusammen gespielt, gebacken, gekocht und auch einige Ausflüge unternommen. Hier war ich ein Exot unter all den japanischen Müttern.

An den Wochenenden unternahmen wir Ausflüge zu den vielen Sehenswürdigkeiten auf der Insel, die hauptsächlich vom Tourismus lebt und auch durch die weltweite Hochkonjunktur profitiert. Außer dem drittgrößten Aquarium der Welt gibt es viele Burgruinen, das restaurierte Shuri-Castle, wunderschöne Strände, Tropfsteinhöhlen uvm. zu besuchen. Eine besondere Rolle spielte Okinawa während dem zweiten Weltkrieg. In der Schlacht um Okinawa starben vom 1.April – 13.Juni 1945 insgesamt 200.656 Menschen. Davon zeugen viele Mahnmale und restaurierte Bunkeranlagen. Nach den Kämpfen wurde Okinawa bis 1972 durch die Amerikaner annektiert. Auch heute befinden sich auf dieser kleinen Insel noch mehrere US-Militärbasen. Unsere Wohnung lag im Einfluggebiet der Futenma-Airbase. Während mein Sohn sehr begeistert war, ständig Kampfjets, Hubschrauber verschiedenster Art und Ospreys im Tiefflug zu sehen, waren die einheimischen Kinder ungerührt, da es für sie alltäglich ist. An den Fluglärm muss man sich als Neuankömmling aber gewöhnen.

In den ersten Wochen hatte ich starke Schwierigkeiten mit der Zeitumstellung und war morgens sehr früh wach. Ich nutzte das um laufen zu gehen. Dabei stellte ich fest, dass in den frühen Morgenstunden überraschend viele Menschen unterwegs sind und wie ich laufen oder in Parks Tai Chi üben. Als ich einmal etwas später loslief fand ich auch heraus, dass man in Japan auch als Jogger im Berufsverkehr stecken bleiben kann. Die Straßen in den Wohngebieten sind sehr eng und obwohl die meisten Autos sehr schmal sind, passen kaum irgendwo zwei Autos problemlos aneinander vorbei. Da in Japan alle Stromleitungen noch überirdisch verlaufen, nehmen die Masten noch zusätzlich Platz ein, dabei hat man sich doch bereits die Gehwege gespart. Die Straßen zwischen den Wohngebieten und die, die Städte miteinander verbinden sind dagegen recht großzügig gestaltet. Trotzdem benötigt man für die Strecke von unserem Wohnort Ginowan im Norden von Naha und einem unserer Trainingsorte in Tomigusuku, südlich von Naha, die ca. 13km beträgt, teilweise über eine Stunde. Für den Rückweg habe ich oft nur die halbe Zeit benötigt. Dieses mal war es auch das erste Mal, dass ich in Japan mit dem Auto gefahren bin. Für eine Gebühr von ca. 30€ kann man von der JAF (Japan Automobile Federation) eine Übersetzung seines Führerscheins erhalten und damit ist man berechtigt, auch in Japan ein Fahrzeug zu führen. Durch die niedrigen Geschwindigkeiten die erlaubt sind (Autobahn max. 80km/h) ist der Verkehr recht entspannt und die Fahrer sind sehr höflich. So zivilisiert der Autoverkehr ist, so wild agieren die Rollerfahrer. Dass hier nicht viel mehr Unfälle passieren, ist nur den Autofahrern anzurechnen. Das Tanken funktioniert in Japan auch ganz anders als bei uns. Es gibt immer Tankwarte, man steigt gar nicht aus dem Auto aus. Zusätzlich kann man seinen Abfall entsorgen und/oder bekommt noch ein Geschenk, etwa eine Packung Taschentücher. Die japanischen Taschentücher sind übrigens viel feiner als unsere, daher am besten für einmal schnäuzen gleich zwei oder drei nehmen und sofort wegwerfen.

Dass Okinawa der Ursprungsort des Karate ist, dass wird einem bewusst, durch die unglaublich große Anzahl an Karate-Dojos. In bequem fußläufig zu erreichender Distanz zu unserer Wohnung befanden sich mindestens drei Dojos im weiteren Umfeld nochmals drei weitere und es ist sehr wahrscheinlich, dass dies nicht alle Dojos in diesem Gebiet waren. Trotzdem scheint es oft vorzukommen, dass Karatetouristen, die sich nicht vorbereitet haben und auf gut Glück ein Dojo suchen tagelang herumlaufen und keines finden. Tatsächlich steht an jedem Gebäude in dem sich ein Laden, Werkstatt oder Büro befindet ein Schild mit Kanji (logischerweise!), teilweise auch mehrere. Ein Dojo, das im 1.OG über zwei Geschäften liegt, kann mit seinem Schild für ungeübte natürlich leicht untergehen. Viele traditionelle Dojos sind eher zurückhaltend in Ihrer Außendarstellung. Dagegen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es immer mehr kommerzielle Dojos gibt, die intensiv um Mitglieder werben und dabei auf bestimmte Zielgruppen abzielen. Es gibt zum Beispiel das Angebot von Kindertraining mit integriertem Englischunterricht oder spezielles Karate für Frauen. Wie auch immer diese „Lifestyle“-Dojos agieren, wenn man Inhalte und Methodik aus dem traditionellen Karate modifiziert oder gar entfernt, wird niemandem einen Gefallen getan, es geht oft nur darum Geld zu verdienen. Der einzig wahre Karate-Lifestyle ist nun mal geprägt von Schweiß, Schmerz, der einen oder anderen Träne und auch mal etwas Blut. Wir sollen lernen zu kämpfen und nicht nur zu tanzen. Wir müssen uns dem Karate anpassen, andersherum funktioniert das nur bedingt. Auch unter den traditionellen Karate Dojos gibt es große Qualitätsunterschiede. Dabei ist der Unterschied zwischen einzelnen Schulen eines Stils manchmal deutlich größer als Unterschiede zweier Dojos aus unterschiedlichen Stilen. Das japanische Karate und das WKF-Wettkampfkarate reflektiert eindeutig auf Okinawa zurück, was dazu führen kann, dass traditionelle Dojos kleiner werden oder sogar ganz verschwinden. Auch die Okinawaner selbst wissen kaum etwas über Karate, dessen Ursprünge und die Entwicklungen. Das moderne Sportkarate rückt sich da eher in den Fokus und bildet immer mehr das Bild von Karate in der Öffentlichkeit, so wie es in Europa bereits von Beginn an der Fall ist. Auch von meinen Verwandten wurde ich bereits gefragt, was ich denn bevorzuge, Kata oder Kumite. Diese Frage von einem Okinawaner zu hören hat mir die Sprache verschlagen. Aber welcher Karateka in Deutschland ist sich überhaupt bewusst, was er eigentlich macht und warum diese Frage unsinnig ist?

In unserer Schule gehen wir seit kurzen sogar einen Schritt zurück und trainieren zusätzlich in einem Außen-Dojo. Ein Grundstück an der Grenze zu einem Neubaugebiet am Rande eines Abhangs, das hochwachsende Gras in einem Bereich von ca. 4x12m geschnitten und kleine Bäume darin gestutzt und als Trainingshilfen präpariert. Der unebene Boden und der beschränkte Raum geben einem ein ganz anderes Gefühl als in einem Dojo.

Der Karatetourismus wird inzwischen auch vom OCVB (Okinawa Convention & Visitors Bureau) gefördert. Mit dem Karate Kai Kan steht ein Gebäudekomplex für Training, Schulungen, Vorführungen, Lehrgänge und Wettkämpfe zur Verfügung. Komplettiert wird das durch ein Karatemuseum, das auch für Nicht-Karateka interessant ist. Sofern man sich in den Hotspots bewegt, trifft man auch ständig ausländische Karateka. Hauptsächlich treffe ich sie in der Monorail, um den Shureido-Shop und natürlich den Karate Kai Kan herum an. Sie sind meist bereits aus der Ferne auszumachen, inklusive der Info, woher sie kommen und welchen Stil sie trainieren. Warum möchte mir ein Endvierziger mit Bierbauch mit seinem Sweat-Shirt mitteilen, dass er mit der Australian Okinawan Goju-Ryu-Association zu tun hat? Auch Matsubayashi-Anhänger aus den USA haben offensichtlich das Bedürfnis, mit Ihren Kleidern der Welt mitzuteilen, dass sie tolle Karateka sind und schon mal auf Okinawa waren. Okinawanische Karateka sieht man dagegen nicht mit Karate-T-Shirts u.ä. herumlaufen. Nur Kinder sieht man hin und wieder im Gi zum Dojo laufen. Hier ist ein grundlegender Unterschied in der Einstellung zum Karate. Für die einen ist es ein Sport, eine exotische Aktivität, etwas Besonderes für das man Anerkennung haben möchte, die anderen trainieren einfach für sich, werden besser und möchten nicht, dass jeder auf der Straße erkennt, was sie evtl. können.

Nach sieben tollen Wochen traten wir wieder die Heimreise an.

Ein unerwartetes Highlight bestand für mich darin, dass Onaga Sensei mir die Prüfung zum 3.Dan abgenommen hat. Zufälligerweise ausgerechnet an meinem Geburtstag.

Als Familie haben wir tolles erlebt, hatten eine großartige Zeit und werden sicherlich in absehbarer Zeit wieder Okinawa besuchen.

CS, 5.3.18

 

P1000729
Strand bei Cape Zanpa

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